
VERÄNDERTE SICHT AUF NACHHALTIGKEIT: VON DER UNDANKBAREN NEBENAUFGABE ZUM ZENTRALEN ELEMENT
Vor zwanzig Jahren begann der Begriff ESG eine gewisse Popularität zu gewinnen. Die Abkürzung steht für Environment, Social and Corporate Governance; gemeint sind damit Umwelt-, Nachhaltigkeits- und Sozialfragen. Ab 2004 wurden diese auch von den Vereinten Nationen definiert und mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung – den SDG (Sustainable Development Goals) – verknüpft. Doch während vor 20 Jahren die Erreichung der ESG-Ziele noch eher als Nebenaufgabe in der Führung von Unternehmen wahrgenommen wurde, sind sie heute ein selbstverständliches und gleichrangiges Unternehmensziel und integraler Bestandteil. Wäre beispielsweise damals die Forderung nach einem Budget für Bienenstöcke als abwegig empfunden worden, ist es heute ganz normal, Geld für die Reduzierung der Bodenversiegelung oder Spenden für Baumpflanzungen auszugeben.
DIE SUSTAINABLE DEVELOPMENT GOALS DER UN IN DER NACHHALTIGEN FERTIGUNG
Aus den 17 SDG, die von der UN definiert wurden, hat Magna bereits vor Jahren sieben Priority-SDG ausgewählt, die für die grüne Automobilproduktion relevant sind. Das ist zum Ersten SDG 3, Gesundheit und Wohlergehen. Dieser Bereich umfasst Themen wie Gesundheitsangebote für die Mitarbeitenden, Untersuchungen, ein arbeitsmedizinisches Zentrum, Ergonomieprogramme, Burnout-Prävention, flexible Arbeitszeitmodelle – eben alles, was mit der Erhaltung der Gesundheit der Mitarbeitenden zu tun hat.
Ein weiteres wichtiges Thema ist das SDG 4: Bildung. Aus- und Weiterbildungsangebote, Lehrlingsausbildung, Kooperationen mit Bildungs- und Forschungseinrichtungen, Verbesserungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bis hin zu Betriebskindergärten sind Maßnahmen, auf die die umfassend nachhaltige Unternehmensführung Wert legt.
In SDG 5 geht es um die Geschlechtergleichstellung. Hier läuft bei Magna eine wichtige Initiative, die auch das SDG 10 (Aufhebung von Ungleichheiten) umfasst und auf Diversität und Inklusion abzielt. Es gibt eine Mitarbeitenden-Charta und einen Verhaltens- und Ethik-Kodex, der für alle Mitarbeitenden verbindlich ist und in entsprechenden Schulungen und Trainings vermittelt wird. Auch marktgerechte Löhne und Gehälter sind in dieser Charta verankert, ebenso die Chancengleichheit unabhängig von Herkunft, Religion, Geschlecht und anderen Merkmalen.
Auch SDG 9 (Industrie, Innnovation und Infrastruktur), SDG 12 (verantwortungsvoller Konsum) und SDG 13 (Klimaschutz) sind wichtige Aspekte, die unternehmerische Entscheidungen im Hinblick auf nachhaltige Fertigung und Unternehmensführung beeinflussen.
GEÄNDERTE SCHWERPUNKTE BEIM UMWELTSCHUTZ
Bemühungen, eine nachhaltige Fertigung zu erreichen, sind in der Automobilindustrie nicht neu. Emissionsreduzierung, Ressourceneffizienz, Energieeffizienz, Materialeffizienz, Abfallmanagement und Wassermanagement – es wird sozusagen seit jeher an vielen Fronten gekämpft. Im Abfall- und Wassermanagement ist dabei inzwischen ein außerordentlich hoher Stand erreicht, nicht nur bei Magna, sondern insgesamt in der Branche. Insofern treten diese Bereiche derzeit etwas in den Hintergrund.
Zentral im Fokus steht die Emissionsvermeidung. Hier sind große Veränderungen bereits im Gange, insbesondere die CO2e-Emissionen zu reduzieren. Deswegen ist Ressourceneffizienz ein Dauerthema der grünen Automobilproduktion, weil es einerseits die negativen Umwelteinflüsse reduziert. Andererseits hat es auch direkten Einfluss auf die wirtschaftliche Effizienz und somit auf die Profitabilität des Unternehmens.
UMWELTSCHONENDE PRODUKTION FÄNGT SCHON IN DER ENTWICKLUNG AN
Bemühungen um Maximierung der Ressourceneffizienz beschränken sich aber nicht nur auf die Prozesse der eigentlichen Fertigung. Sie müssen schon in der gesamten Lieferkette umgesetzt werden. Bereits in der Entwicklung der Produkte und Komponenten wird darauf geachtet, etwa den Materialeinsatz an neuen Ressourcen so gering wie möglich zu halten und den Recycling-Anteil zu erhöhen, wo immer dies ohne Qualitätseinbußen möglich ist.
CO2-AUSSTOSS IST NICHT DER EINZIGE LIFETIME-RELEVANTE UMWELT-IMPACT
Allerdings ist es gesamt gesehen nicht ausreichend, nur den CO2-Ausstoß im Visier zu haben. Denn es gilt, zahlreiche andere Schadstoffe zu berücksichtigen, die sowohl während des Betriebs des Fahrzeugs als auch bei der (Komponenten-)Produktion entstehen. Dabei ist es nicht immer dienlich, nur das einzelne Fahrzeug zu betrachten, sondern man muss das große Ganze verstehen. Zudem kommt es darauf an, um welche Art von Fahrzeug es sich handelt.
Hier ändert sich der Fokus mit dem Wandel der Automobiltechnik: Der Ressourcenverbrauch für die Batterieproduktion gewinnt naturgemäß bei elektrifizierten Antrieben an Bedeutung. Stoffe wie seltene Erden kommen mit dem Einzug von immer mehr Elektronik zunehmend zum Einsatz – und hier hat die Rohstoffgewinnung große Bedeutung für die nachhaltige Fertigung. All diese Faktoren auf das einzelne Fahrzeug herunterzurechnen, ist schlichtweg unmöglich.
SCOPE 1, SCOPE 2, SCOPE 3 – DIREKTE UND INDIREKTE EMISSIONEN IN DER AUTOMOBILFERTIGUNG
Entlang der Wertschöpfungskette unterscheidet man zwischen drei Arten von Emissionsquellen. Bei der Zuordnung der Emissionen zu diesen drei Scopes richtet man sich meist nach dem Greenhouse Gas Protocol (GHG). Darin sind Standards zu Messung und Verwaltung von Treibhausgasemissionen definiert.
Die direkten Emissionen – Scope 1 – sind die direkt von den Prozessen in der Fertigung verursachten Emissionen, also im Wesentlichen, die innerhalb des Werks verursachten. Zu den indirekten Emissionen aus außerhalb des Werkes erzeugten Energiebezügen wie Strom, Dampf, Wärme und Kälte – Scope 2 – gehört die verbrauchte Infrastrukturenergie. Das sind beispielweise Energieformen, die man für die Heizung, Belüftung bzw. Klimatisierung und Beleuchtung bezieht.
Der Bereich der Emissionen der Scope-3-Kategorie – den sonstigen indirekten Emissionen – ist sehr breit. Er umfasst jene Emissionen, die durch die Herstellung von zugekauften Waren und durch Dienstleistungen, bei Transport und Nutzung der hergestellten Produkte und dem Handling und der Entsorgung von Abfällen verursacht werden. Beispielsweise fallen durch Geschäftsreisen verursachten Emissionen in diese Kategorie.
Auch hier kann die nachhaltige Fertigung zur Verringerung beitragen – etwa über die Auswahl der zugekauften Energieträger. Wird beispielsweise Grünstrom bezogen, verursacht dieser naturgemäß weniger Emissionen als Strom aus Kohlekraftwerken. Werden Dienstreisen eingespart oder mit umweltfreundlicheren Verkehrsmitteln durchgeführt, lassen sich diese Emissionen bedeutend senken. Die Zusammenarbeit aller Bereiche ist entscheidend, um den gesamten CO2-Fußabdruck des Unternehmens zu reduzieren.
Zu den indirekten Emissionen, die durch den Energieverbrauch außerhalb des Werkes entstehen, wie Strom, Dampf, Wärme und Kälte - Scope 2 - gehört auch die Energie, die für die Infrastruktur verbraucht wird.
Einflussmöglichkeiten nachhaltiger Fertigung auf die
Gesamt-Emissionsbilanz
Dabei sind die Einflussmöglichkeiten der eigentlichen Fertigung auf die Gesamt-Emissionsbilanz relativ gering. Über 90 Prozent des Emissions-Rucksacks der Produktion bei Magna kommen aus dem Zukauf von Waren und Dienstleistungen und dem Betrieb der Produkte, also aus dem Scope-3-Bereich. Die Fertigung an sich verursacht nur einen Anteil von vier bis viereinhalb Prozent.
Dennoch dürfen auch diese nicht vernachlässigt werden. Ein Ansatzpunkt, hier Emissionen einzusparen, ist etwa ein möglichst umweltfreundliches Pendeln: Wie kommen die Mitarbeitenden zum Arbeitsplatz und wieder nach Hause? Hier sind auch schon mehrere Maßnahmen am Standort Graz umgesetzt, vom Job-Rad über Fahrrad-Abstellparks an den beliebtesten Eingängen ins Werksgelände bis hin zum KlimaTicket für den öffentlichen Verkehr.
Auch die Energieeinsparung außerhalb der eigentlichen Produktionszeiten – Stichwort Leerlaufleistung oder Standby – darf nicht übersehen werden. Jede Kilowattstunde, die man an unnötigem Energieverbrauch einsparen kann, ist ein Gewinn für die Umwelt und Wirtschaftlichkeit. Die Möglichkeiten weiterer Emissionseinsparungen sind selbst in der grünen Automobilproduktion recht gering. Hier geht es allenfalls um Kommastellen – dennoch sollte man auch hier alle Möglichkeiten nutzen.
GROSSE EINSPARUNGSPOTENZIALE BEI LIEFERKETTE UND PRODUKTENTWICKLUNG
Wie erwähnt steckt bedeutendes Potenzial in den Lieferketten. Bei Magna sind hier gruppenübergreifend Expertinnen- und Expertengruppen eingesetzt, die alle Möglichkeiten ausloten und so rasch wie möglich umsetzen. Natürlich ist dabei auch eine nachhaltige Lieferlogistik ein wichtiger Faktor. Und auch jede Produktweiterentwicklung, die eine verringerte Emission beim Betrieb der Fahrzeuge bewirkt, ist ein Schritt, um den Gesamt-Fußabdruck des Unternehmens zu verkleinern. Auch hier treibt eine Magna-Expertinnen- und Expertengruppe die Produktentwicklung vehement voran – mit dem Ziel, langfristig eine echte Kreislaufwirtschaft zu etablieren.
HERAUSFORDERUNGEN UND HINDERNISSE BEI DER UMSETZUNG EINER NACHHALTIGEN FERTIGUNG
Natürlich kann ein Unternehmen nicht immer alle denkbaren Möglichkeiten sofort ausschöpfen. Dem stehen in vielen Fällen die notwendigen Investitionskosten im Wege. Denn die Einführung umweltfreundlicher Technologien ist teuer – vor allem, weil die Nachfrage aktuell hoch ist, was die Preise zusätzlich in die Höhe treibt.
In vielen Fällen zieht eine Umstellung auf umweltfreundlichere Prozesse eine komplexe Lawine von zusätzlichen Maßnahmen und Prüfungen nach sich. Ändert man einen Betriebsstoff, muss man von der Lagerung bis zur Entsorgung alles hinsichtlich möglicher Wechselwirkung prüfen.
In anderen Bereichen gibt es auch schlicht technologische Grenzen. Oft ist eine theoretisch mögliche Technologie noch nicht verfügbar oder noch nicht industrialisiert. Letztlich entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung nachhaltiger Fertigung und Prozesse sind auch die Mitarbeitenden: Wenn es Widerstände gegen Veränderungen gibt, kann dies das Ergebnis negativ beeinflussen. Deshalb sind Programme zur Mitarbeitendenschulung und Motivation unverzichtbar. Awareness heißt hier das Stichwort.
Nicht zuletzt können auch rechtliche und normative Regelungen ein Hindernis bei der Umsetzung neuer, umweltschonenderer Methoden und Prozesse sein. Natürlich gibt es neue Regulatorien, die helfen, und andere, die eher hindern. Das kann beispielsweise eine noch immer gültige alte Verordnung sein, die das Umsetzen von eigentlich wünschenswerten Neuerungen verhindert.
Ein Beispiel: Warum darf ein LKW nur einen Anhänger ziehen und nicht zwei oder drei über definierte Strecken, solange die Gewichtsgrenzen eingehalten werden, um die Straßen nicht zu schädigen? Leider gibt es hier trotz mehrmaliger Anfragen keinen Handlungsspielraum mit der Gesetzgebung.
VORTEILE DER GRÜNEN AUTOMOBILPRODUKTION BEIM AUFTRAGSFERTIGER FÜR OEMS
Als Auftragsfertiger agiert ein Unternehmen wie Magna nicht isoliert, sondern immer im Interesse seiner Kunden, also den Fahrzeugherstellern. Diese Hersteller profitieren unmittelbar von einer nachhaltigen Fertigung. Durch die Schaffung nachhaltiger Herstellungsprozesse können die Kunden ihre Unternehmensziele in Bezug auf Umweltverträglichkeit und soziale Verantwortung erreichen.
Beispielsweise schlagen sich die Bemühungen um verbessertes Energiemanagement und Reduktion der Energieintensität direkt auf verringerte Produktionskosten nieder. Eine Senkung dieser liegt auch im Interesse des Fahrzeugherstellers. Daneben ist es auch ein Imagegewinn für den Hersteller, wenn die Produktion ausschließlich mit Grünstrom erfolgt. Einige Fahrzeughersteller fordern das explizit – im Bewusstsein, dass dies das Image der Endprodukte verbessert.
REDUZIERUNG DES CO2-RUCKSACKS AUCH IM INTERESSE DES ENDKUNDEN
Glücklicherweise setzt sich bei der Bewertung der fahrzeugbedingten Emissionen zunehmend die Einsicht durch, dass nicht nur die direkten Emissionen beim Betrieb zu betrachten sind, sondern jene über den gesamten Lebenszyklus des Fahrzeugs. Faktisch bringt jedes Produkt, auch jedes Automobil, schon einen CO2-Rucksack mit, noch bevor es das erste Mal benutzt wird. Wenn transparent ist, wieviel Energie und wie viele Emissionen im Endprodukt stecken, kann sich auch der Verbraucher entscheiden, welchen CO2-Rucksack er wählt. Insofern ist eine ressourcenschonende und emissionsarme Fertigung auch durchaus ein Wettbewerbsvorteil für den OEM.
ZUKÜNFTIGE TRENDS IN DER FAHRZEUGFERTIGUNG IM INTERESSE VON MEHR NACHHALTIGKEIT
Die Anstrengungen um Dekarbonisierung des Verkehrs – und damit der Dekarbonisierung der Fahrzeugproduktion – wird ohne Zweifel weitergehen. Auch wenn sich dieses Ziel in den nächsten Jahren nicht zu 100 Prozent erreichen lässt, wird es langfristig auf der Agenda stehen. Weitere Trends, die sich abzeichnen, sind Bemühungen um eine längere Produktlebensdauer, wozu auch eine Verbesserung der Reparierbarkeit gehört. Dieser Aspekt kann und wird einen signifikanten Einfluss auf die Automobilfertigung haben.
Auch bei den Materialien geht die Veränderung weiter: Der Trend Richtung Aluminium zur Gewichtseinsparung der fertigen Fahrzeuge ist bereits im Gange. Somit wird sich auch der Anteil neuer Fügetechniken neben dem klassischen Schweißen erhöhen.
Und selbstverständlich wird die Digitalisierung der Produktion – Stichwort Industrie 4.0 – weiter voranschreiten und für Veränderungen sorgen. Auch das kann die nachhaltige Fertigung weiter verbessern, etwa indem durch digitale Prozessoptimierungen Material und Energie eingespart werden kann.
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